<p>Goethes Versuch über die Versuchung führt das Ehepaar Eduard und Charlotte auf ihrem Landgut mit dem befreundeten Hauptmann und Charlottes Nichte Ottilie zusammen − und damit in ein auswegloses Dilemma von erotischem Verlangen und Entsagung im Zeichen christlich-bürgerlicher Ehemoral. Von der Prüderie des 19. Jahrhunderts als unsittlich verpönt, wird Goethes vielschichtiger Roman heute als Meisterwerk geschätzt, in welchem es dem Dichter gelingt, die erschütternde Tragik kühl-distanziert zu schildern und ein psychologisch nuanciertes Porträt der zeitgenössischen Gesellschaft zu zeichnen. </p><p>»Der sehr einfache Text dieses weitläufigen Büchleins«, erklärte Goethe 1821 Joseph Stanislaus Zauper, »sind die Worte Christi: Wer ein Weib ansieht, ihr zu begehren ... Ich weiß nicht, ob irgend jemand sie in dieser Paraphrase wieder erkannt hat.«</p><p>Die Stelle lautet im Ganzen: »Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.« (Matth. 5, 28)</p>